Mensch und Arbeit

1991: Der letzte Abstich

Der Film berichtet über das Ende der legendären Karbidfabrik in Buna, Symbol für die Veredlung einheimischer Rohstoffe in der ehemaligen DDR. Schon 1987 sagte der damalige Abteilungsleiter Dr. Siegfried Richter: „Das Beste wäre, die Karbidfabrik abreißen und andere Technologien entwickeln.“ Im Sommer 1991 entstand dieser Film über den letzten Abstich und die ungewisse Zukunft der Karbidkumpel. Mit den Alltagserinnerungen des Abstichmannes Franz Aszakis wird ein Stück Fabrikgeschichte aus Buna gezeichnet – von 1989, dem Beginn der Wende in der DDR, bis 1991 zur vollzogenen Entscheidung der Treuhand, die Karbidfabrik abzutragen. Eingeschnittene Szenen aus dem DEFA-Film „Die Karbidfabrik“ aus dem Jahre 1987(siehe unten) im Gegenschnitt mit den Abrissarbeiten 1991 verdeutlichen die Tragik und Ungewissheit der Chemiearbeiter. Ein Hoffnungsschimmer ist der Besuch von Bundeskanzler Helmut Kohl, aber auch dieser kann das Ende der Traditionsfirma nicht aufhalten. Es werden Interviews geführt mit dem Vorstandsvorsitzendenden der Buna-Werke, Karl-Heinz Saalbach, dem Abteilungsleiter Siegfried Richter und dem ehemaligen FDJ-Sekretär Siebert Matjuh.

Kritik

Vorbereitung auf den endgültigen Feierabend 
Man hört davon, man liest davon, miterleben kann man es nur in einem Film wie „Der letzte Abstich“ (DFF, Mittwoch, 22.25 Uhr) von Heinz Brinkmann in der Reihe „Das Fenster“. Als in Leipzig noch nicht entschieden war, wie die Staatsmacht auf die ersten Demonstrationen reagieren werde, fuhren Babelsberger Filmemacher zum Bunawerk und drehten gegen den Widerstand des damaligen Generaldirektors. Zwei Jahre später kehrten sie dann wieder. 
Der stets so gerühmte Fleiß der Arbeiter wurde diesmal gebraucht, um die Karbidfabrik zu planieren. Jeder wußte, dass es so wie bisher nicht weitergehen konnte und wer die Schinderei unter menschenunwürdigen Bedingungen gesehen hat, glaubt ihnen aufs Wort. Ob Arbeit das erste Lebensbedürfnis des Menschen ist, wie Marx es prognostizierte, ist für sie blanke Theorie. Dem einen hat es trotz alledem Spaß gemacht, für den anderen ein einfaches Muß. Die Arbeit aber hat ihren Lebensrhythmus bestimmt, auch wenn sie es manchmal nicht wahrhaben wollten. Jetzt, da sie weg ist, gähnt da eine Leere. 
Wer kann, wird gehen. 
Zwei Jahre wurden nutzlos vertan. Da kamen kluge Herren aus dem Westen und berieten den Fall zu Tode, für die ferne Treuhand ist das nur ein bürokratischer Vorgang. Dafür ließ sich Helmut Kohl einfliegen. Er versprach nichts zu versprechen und tat nichts anderes. Er erzählte, wie lieblich ihm der Duft der Chemie in der Nase liegt, denn als Werkstudent habe er drei Jahre bei der BASF gearbeitet. Die Reaktion auf den Gesichtern der Arbeiter sprach Bände. Brinkmann und sein Team berichteten völlig unprätentiös und mit einer Authentizität, die von keinem Fernsehreport zu haben ist. Glänzend: Die Stimme des Kanzlers im Off, während die Kamera schweigend das Gelände abfährt. 

Günter Maschuff in „ZEV“ 18.10.1991 – Rubrik „So gesehen!“

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1990: Ich sehe hier noch nicht die Sonne

Montagearbeiter der Erdgastrasse „Druschba“ Ende 1989. Der Alltag bestimmt vom Rhythmus der Arbeit und vom Leben im Wohnlager. Draußen im Lande wird alles anders. Hoffnungen, Zweifel, Ängste. Ein einmaliger Bericht über die Stimmung unter Arbeitern im November 1989.

1989: Die Karbidfabrik

Der Dokumentarfilm berichtet über die besonderen Arbeitsbedingungen in der veralteten Karbidfabrik Schkopau in der Auenlandschaft an der Saale. Mit einer großen Offenheit sprechen die Arbeiter und der Abteilungsleiter der Chemischen Werke Buna über Missstände, über mangelnde Investitionen und über die Zukunftsaussichten in Form neuer Technologien. Ein bemerkenswerter Film der durch seine kritische Kommentierung und unbeschwerte Erzählweise der Arbeiter überrascht. Die Kameraführung und der Schnitt unterstützen dabei die Trostlosigkeit und Schwere der Arbeit in diesem Industrieunternehmen und widerspricht der Devise von Walter Ulbrichts Chemieprogramm von 1958 „Chemie gibt Schönheit“.
Franz Aszakis, Abstichmann. Siebert Matjuch, Jugendbrigadier, ein Vorbild für die Jüngeren und Dr. Richter, der Abteilungsleiter der Fabrik, dessen Worte “Die Karbidbude abreißen und andere Technologien entwickeln” den Groll des Generaldirektors hervorrief und damals der Zensur zum Opfer fiel.

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Kritik

Berliner Zeitung vom 9.4.2018, Nr. 82 – Feuilleton von Ralf Schenk: Karbid und Rhabarbersaft

1974: Alltag mit Widerständen

Kritik

„Am Schluss wird die Berufsbezeichnung benannt: Verkohlerinnen. Der Kommentar: Auch gut. So lakonisch ist der gesamte Film. Er leuchtet in den Arbeitsalltag einer gut arbeitenden Frauenbrigade in Teltow. Er beleuchtet grell einige Erscheinungen, er schwingt sich nicht zum Richter über Tatbestände auf. Tatbestand ist, dass man in dieser Brigade gut arbeitet, sich dennoch nicht gut versteht. „Die haben eben verschiedene Charaktere“, sagt eine junge Frau aus der Nachbarbrigade, wo solche Unstimmigkeiten nicht auftreten. Der Vorteil dieses Films ist, dass er hautnahe dran ist an den alltäglichen Erlebnissen, dass es den Filmleuten gelungen ist, wirklich dabei zusein, wenn man sich auseinandersetzt. Den Problemkreis entdeckt und aufgenommen zu haben, das ist ein Verdienst. Selten erlebt man solche Direktheit, Unverblümtheit vor der Kamera, so wenig Gestelltes, wenn es um Dinge geht, die üblicherweise nicht gern an die große Glocke gehängt werden. Und der Film versucht noch mehr zu ergründen. Das Vorleben der älteren Frauen, ihren Weg bis in diesen Teltower Betrieb, in dem sie schon zwanzig Jahre arbeiten, ihr Verhältnis zu diesem Betrieb, das ein Besitzverhältnis ist, aus dem sie Rechte und Ansprüche ableiten. Versucht wird auch, das Verhältnis der jungen Frauen zur Arbeit zu ergründen, das so ganz anders ist, als jenes der älteren. Es ist auf andere Art selbstsicher, in keinem Fall begründet auf den Anspruch der eigenen Leistung, erscheint dadurch lockerer. Und obwohl die Auseinandersetzungen im wesentlichen wie Formfragen des alltäglichen Umgangs erscheinen, sitzt doch der Kern der Missverständnisse …. Das ist wichtig anzumerken, weil diese Aufnahmen in der Wirklichkeitsbetrachtung so kräftig sind, weil sich darin andeutet, dass dieser Dokumentaristennachwuchs erstaunliche Fähigkeiten im Aufspüren von Problemstellungen hat.“

SONNTAG 44/1974 | Irene Böhme